STATISTA

Staatskunst Pioniernutzung Repräsentation

Die Päste Kultureinrichtung Berlins

Eine Best-Case-Studie zur S27 – Kunst und Bildung und ihrem Versuch mit künstlerischer und politischer Bildung ein junges Forschungslabor des urbanen Lebens zu sein

Es stinkt zum Himmel, wenn man als Mitarbeiter einer Einrichtung die eigene Arbeit als Best Case darstellt. Ich habe trotzdem Lust und Gründe das zu tun.

Als ich 2014 die damals noch internationales JungendKunst- und Kulturhaus genannte Schlesische27 kennenlernte, friemelte ich mir eine Vorstellung aus den im Institutionstitel angegebenen Wörtern zusammen. Siehe da – irgendwie sogar logisch, dass ein solcher Ort Arbeitsorientierungsprojekte für Flüchtlinge anbieten wollte. Ob das jetzt unbedingt was mit Kunst zu tun hat, war für die soziale Notlage rund um die kampierenden Flüchtlinge am Oranienplatz irrelevant und somit auch für mich. Erst viel später haben sich die dahinter stehenden Zusammenhänge für mich erschlossen. So geht es wahrscheinlich vielen, die etwas mit der S27 zu tun haben. Manche sehen ein Urban Gardening Projekt, andere eine Werk- oder Designschule, wieder andere ein junges Archäologieprojekt, das Trümmer am Teufelsberg ausgräbt.

Im Mittelpunkt der Arbeit der S27 stelle ich mir folgende Selbstaufforderung vor: „Wir machen das, was sozial notwendig ist und formen dabei innovative Bilder, die einen klugen Zugang zur Welt ermöglichen“. Ein solches Bild habe ich 2014 mit „Flüchtling ist kein Beruf“ als überraschender stadtweiter Plakatkampagne mitentwickelt, die auf das Arbeitsrecht von Flüchtlingen hinweist und Unternehmen wirbt. Das dabei entstandene Projekt ARRIVO BERLIN bot einen dazu passenden praxisnahen Werkstättenparkour, der bis heute Flüchtlingen den Einstieg in das Berliner Handwerk ermöglicht.

Vorerst losgelöst von Förderfragen, politischen Pakten oder diskursiven Detailfragen geht es in der S27 um Fragen des Zusammenlebens von Menschen. Erstmal nichts Besonderes, denn darum dürfte es den meisten Kultur- und Kunsteinrichtungen gehen – den Bildungsträgern sowieso. Konkreter interessiert die S27 wie Menschen mit verschiedensten Hintergründen und Wünschen in einer großen Stadt wie Berlin aufeinandertreffen. In kuratierten Prozessen kann dieses Zusammenkommen in verschiedensten Formen gestaltet, geübt, befragt oder begrenzt werden. Ein großer Teil der Projekte nutzt dabei den vergleichenden Blick in die Vergangenheit und Zukunft der Menschen, denn hier liegt das große Potenzial des Kennenlernens. So mögen sich zwar die genauen Praktiken von Leben, Arbeit, Essen, Malen, etc. in verschiedenen Kulturkreisen unterscheiden – was in sich schon spannender Tauschstoff ist – die ihnen zugrunde liegenden Geschichten, Erfahrungen und Hoffnungen gleichen sich jedoch, was ein gemeinsames Erfahren von Welt möglich macht.

Gemeinsam etwas Kleines tun, bzw. an etwas Großem gemeinsam arbeiten ist meine und die allgemeine diebische Freude der S27. Dafür schließt sie Kooperationen mit Gott und der Welt. Gar nicht so merkwürdig, dass Tech-Industrie, Migrantenvereine, Bibliotheken, Universitäten, Autoschrauber, Theaterhäuser, Werbebuden, Entwicklungshilfeorganisationen, Forschungszentren u.v.m. gemeinsam mit dem Berliner Kulturhaus an der Welt schrauben wollen. Sie alle bewegen ähnliche Ideen zur Gesellschaft und das Ziel, auf alte und neue Fragen Antworten zu bekommen. 

Gegenstand des jungen urbanen Forschungslabors ist oftmals die Stadt Berlin und ihre Entwicklung. Um besser zu verstehen oder an einem bestimmten Ort mit einer Community etwas zu bewegen, reiht sich ein Handwerkskammerbesuch an ein Gespräch mit dem örtlichen Imam über die Jugend im Kiez, um dann Abends mit dem Wohnprojekt an der Ecke über eine Ladennutzung zu streiten. Mit Projekten wie den jungen Pächtern, der Wohnwut-Kampagne oder dem CoopCampus betreibt die S27 lebendige Orte in der ganzen Stadt. Dort entstehen Miteinander, Experimente und Veränderung. Wird hierbei auf die veränderte Stadt reagiert oder eine neue Stadt mit angestoßen? Das ist schwer zu trennen, Veränderung aus dem Weg zu gehen ist aber nicht so Schlesis Sache. Mutig sollen wir sein, neue Wege finden, Altes mitnehmen und wertschätzen.

Mit jungen Menschen die komplizierten Fragen ihrer spezifischen und unserer aller Gegenwart anzupacken, ist ein großes Unterfangen. Die Themenpalette der S27-Projekte ist entsprechend breit, mal in Jahresdauer, mal in Abendveranstaltung verpackt, mal mit zehn, mal mit tausend Teilnehmenden. Einiges wird von Förderseite und Politik verstanden (dann gibt es viel Geld), anderes vermeintlicherweise irrelevant oder so neu und schräg, dass es private Unterstützung bedarf (zum Glück gibt es da einen Förderverein mit privaten Spender*innen – im Zweifel kommt sogar Geld aus San Francisco). 

Trotzdem kann das verbeulte Transportauto nur im zweiten Gang angefahren werden. In der Küche hat es erst geregnet und dann gebrannt. Mein Einzelfahrschein konnte nicht abgerechnet werden, weil ich eine Kurzstrecke hätte kaufen sollen, sagt die Förderstelle. Mein Arbeitsvertrag hat 10 Anhänge: Stunden rauf, Stunden runter, heute Manager, morgen Fortbilder; aneinadergereihte Befristungen. Projektbusiness heißt: es gibt keine tragfähige Brücke, sondern nur aneinandergereihte Flöße über die wir springen können. Schlimm ist das, aber irgendwie auch romantisch – die Alternative wäre Auslegeware anthrazit: schreckliche Vorstellung.

Klar, die Schlesi könnte auch einfach die überschaubare Basisförderung der Stadt annehmen, mit ein paar Kiddies Bilder malen und dadurch einer Hand voll Künstler*innen Anstellung oder Honorar ermöglichen. Aber bewegt das die Welt? Wäre das repräsentativ für die großen gesellschaftlichen Umwälzungen unserer Zeit? Und DIE wichtigste Frage: was hätten die Kiddies davon? Spätestens seit diesem Jahrzehnt werden die großen Gesellschaftsfragen für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene essentielle Lebensumstände. Sie fragen sich was in ihrem Leben gelten wird: Welchen Beruf muss ich für mich (wieder-)entdecken, wenn es den meiner Eltern nicht mehr gibt? Wie lange schafft es mein Planet noch Lebensraum zu sein? Kann ich mein Leben auch fortführen, wenn ich gezwungenermaßen den Kontinent wechseln muss?

Da gilt es die Motive des Fragens – künstlerisch, politisch, sozialwissenschaftlich – tief zu durchdringen. Für viele Akteure in Stadt und Land gibt es vielleicht wichtigere Fragen oder es erscheint sinnvoll alles so zu machen wie immer. Verstehen kann ich das nicht. Globalisierung und ihre Folgen sind kompliziert einzuordnen, die Frage ist wie man mit dieser Komplexität und ihre Folgen für eine Stadt wie Berlin umgeht? Einfache Antworten oder Vermeidungsverhalten helfen nicht weiter, daher schaut sich die S27 Produkte und Prozesse ganz genau an: Idee, Geschichte, Gestaltung, Machart und Produktionszyklus eines Turnschuhs verrät viel darüber warum es in Berlin keine Industrie mehr gibt, dafür aber eine creative city. Ach ja und meine Lieblingsfrage: Warum darf der Turnschuh quer über die Welt reisen, der Mensch aber nicht? 

Auch die Schlesische27 hat keine Antworten auf die Probleme von Kapitalismus, Kolonialismus und Gentrifizierung. Aber wie man sich damit beschäftigen kann, wer darüber verhandeln darf und was es jetzt hier ganz konkret an der Straßenecke brauchen könnte: dazu gibt es ein paar Ideen.