STATISTA

Staatskunst Pioniernutzung Repräsentation

Im Gespräch mit dem Stadtsoziologe Sigmar Gude

Laura Witt im Gespräch mit Sigmar Gude
Dipl. Soziologe Sigmar Gude ist seit vielen Jahren im Bereich der Stadtentwicklung mit Blick auf soziale Fragen tätig. Er war bei dem Stadtplanungsbüro Topos tätig und ist aktuell bei der Asum Gesellschaft für angewandte Sozialforschung und Mieterberatung engagiert. Zudem ist er Mitglied von Kotti & Co.


L
Wie können wir uns vor Verdrängung im innerstädtischen Raum schützen und von welchen Erfahrungswerten können Sie uns berichten?
S
Der Milieuschutz ist keine wirkliche Sicherung gegen Verdrängung, er schützt insbesondere anwesende Mieter einigermaßen, weil der Umfang der Maßnahmen reduziert werden kann. Wo der Eigentümer dann auch tatsächlich mit vorhandenen Leuten verhandeln muss, sei es eben mit den Mietern, sei es mit der Verwaltung oder den Mietern plus Verwaltung oder wenn die Mieterberatung eingeschaltet wird.
Das ganze Problem mit der Verdrängung ist viel weniger ein Problem, bei dem Mieter verdrängt werden, sondern das Hauptproblem ist die strukturelle Verdrängung. Das heißt es passiert im Zuge ganz normaler Prozesse. Im Altbaubereich war es jahrzehntelang üblich, dass zehn bis zwölf Prozent, der Mieter im Laufe eines Jahres umzogen, weil sie in eine andere Wohnung zogen, weil sie Berlin verlassen haben, weil sie sich getrennt haben, weil die Kinder aus dem Haus sind oder weil Kinder gekommen sind. Das ist das Gängige und das war auch solange nicht problematisch, solange dabei kein struktureller Effekt erzielt wird. Das heißt wenn Ärmere ausziehen, dann kommen keine Ärmeren nach. Wenn bestimmte Familien mit Kindern ausziehen, kommen die nicht nach. Wenn die klassischen Migranten ausziehen, kommen vielleicht Migranten aus dem europäischen Ausland mit einem akademischen Abschluss nach. Das heißt die Struktur wird verändert und im Endeffekt heißt das ja, dass diese Gruppen die dort keinen Zugang haben irgendwo bleiben müssen. Wir haben festgestellt, dass bis jetzt noch nicht so viele aus Berlin weggegangen sind. Die Behauptung, dass im größeren Umfang an den Stadtrand vertrieben wird, ist statistisch nicht erwiesen. Denn das sind meistens die Stellen, wo städtische Gesellschaften, Wohnungsbestände haben. Mir fällt zum Beispiel eine Großsiedlungen in Ost-Berlin ein. Die nehmen in der Regel mehr Leute zum Beispiel mit Hartz IV Bezug auf, als andere. Da hat es dann den Anschein dass alle arm sind. Aber schon deswegen stimmt das nicht mehr, weil schon lange in diesen Gebieten gar keine Wohnungsleerstände mehr sind und auch die Gesellschaften sich sehr bedeckt halten. Sie wollen auf jeden Fall immer eine relativ hohe Anzahl von Selbstzahlern haben. Also meine These dazu war ja immer die sogenannte innere Verdrängung das heißt die Leute, mit schlechteren Voraussetzungen, werden in die schlechten Bestände verdrängt. Also in laute Wohnungen, an lauten Stadtstraßen oder Stadtautobahnen, in dunkle Hinterhöfe in schlechtem Zustand und so weiter und so fort. Das heißt, dass viele Familien mit Kindern mit Hartz-IV Bezug in überlegten Wohnungen wohnen. Es ist ein Prozess der daher viel schleichender geht. Die Fälle wo wirklich ganz konkrete Mieter verdrängt werden, sind trotz allem die Minderheit gegenüber dem anderen Prozess.
L
Wie kann das allgemeine Stadtbild durch solche Prozesse verändert werden?
S
Die Bestände werden noch knapper und enger. Wir hatten ja eine Zeitlang gerade auch in Gebieten wie Wedding und Neukölln teilweise auch in Kreuzberg und Moabit, Läden die leer standen und da wurde viel gemacht. Künstlern wurden für Projekte zum Teil unentgeltlich für eine bestimmte Zeit die Räume zur Verfügung gestellt. Die Zeiten, wo wir im Gewerbe Leerstand haben, sind inzwischen mehr oder minder vorbei. Sicher gibt’s auch ungeeignete Ecken. Aber ansonsten ist da auch nicht viel, wo man sagen könnte: „Mensch da könnten doch Gruppen sich hinsetzen und für die Nachbarschaft arbeiten.“


Mietendeckel


L
Gibt es ein Instrument, das die angespannte Lage des Wohnungsmarktes beruhigen kann? 
S
Der Mietendeckel ist sicherlich ein deutlich besseres Zeichen, für diejenigen die, durch Baumaßnahmen und durch die daraus folgenden Mieterhöhungen, verdrängt werden. Dies kann deutlich verringert werden. Ob es allerdings die strukturelle Veränderung tatsächlich verändert, wage ich zu bezweifeln, denn die Entscheidung wer kommt denn in eine frei gewordene Wohnung rein, liegt ja immer noch beim Eigentümer. Und wenn der in den letzten Jahren die Auffassung hat wie die meisten: „Ich möchte solvente Mieter, die auf jeden Fall genügend Geld haben, auch wenn ich die Miete erhöhe.“ Erstens weil sie es gut zahlen können, weder protestieren, noch ständig ausziehen - ständig neue Mieter zu suchen ist ein bisschen aufwendig. Das bedeutet letztendlich strukturelle Verdrängung und die sogenannten solventen Mieter sind hierbei deutlich im Vorteil. Auch wenn diese Regelung vier Jahre anhält werden die Eigentümer danach ordentlich Miete verlangen und dann brauchen sie Mieter, die das bezahlen können. Aber das kann auch das grundsätzliche Problem nicht reduzieren oder gar beseitigen.
L
Was kann die Nachbarschaft gegen Verdrängung tun?
S
Wir haben Erfahrungen mit Bürgerinitiativen und gerade gestern war eine Veranstaltung im Mieterverein zum Thema Mietendeckel, mit einer Frau die sehr aktiv ist in Schöneberg. Die beklagte sich, dass prophylaktisch keiner tätig wird, sondern alle erst tätig werden wenn es schon eigentlich fast zu spät ist. Wenn der Plan veröffentlicht wird und im Rathaus ausgehängt wird, dass dieses und jenes passiert, dann kommen ein paar Einwände. Aber wenn der Bagger da steht und anfängt, dann wachen die Nachbarn auf: „was das soll“. Und dann ist es oft zu spät, was dann natürlich wieder zur Frustration bei den Betroffenen führt: „bringt ja nichts wenn wir uns engagieren“. Dieses von langer Hand, das war ja auch bei Kotti und Co. nicht so. Irgendwann zeigte sich immer stärker das Problem der steigenden Sozialmieten, wo es doch in dem Fall ein besonders hohen Anteil von einkommensschwachen Mietern gab und dann natürlich auch paar Leute, die diesen Protest organisierten und kanalisieren konnten und dadurch war plötzlich so eine starke Bewegung da. Gerade weil natürlich einiges an Erfolgen zu verzeichnen ist, nämlich  wurden die Mieten seit ein paar Jahre nicht erhöht, auch jetzt am Kottbusser Tor sind sie weitestgehend eingefroren. Es gibt zusätzliche Unterstützung und so weiter und so fort. Das kann eben auch dazu führen, dass die Leute sagen erfolgreich ist es schon, jetzt muss ich eigentlich nichts mehr machen. Jetzt habe ich mal andere Themen, weil sich nicht jeder ständig mit diesem Thema befassen will.


Mietenspiegel


S
Das gehört sozusagen prinzipiell zur Auswirkung. Ich glaube schon, dass solche Projekte die Nachbarschaft stärken. Nun gibt es auch Beispiele, die die Nachbarschaft schwer aufgeregt hat, weil sie mit der künstlerischen Darstellung gar nichts anfangen konnten. Aber ansonsten denke ich, dass die Nachbarschaft dadurch gestärkt wird wenn sie sieht, dass da was passiert. Da gibt es Leute, die sich dafür interessieren. Das ist prinzipiell ok. Was die Mieterhöhung grundsätzlich angeht, ist es bezüglich des Mietspiegels sehr viel komplexer. Es gibt ja keine Mietspiegelmieten für ein kleines Gebiet, sondern nur für drei Wohnlagen und die sind jeweils über die ganze Stadt verteilt. Aber es wurde ja immer wieder gesagt, dass einzelne Projekte die Mieten in der Nachbarschaft erhöhen würden. Das berühmte Beispiel des Garage Lofts. In der Reichenberger Straße, wurden in einem Neubau Wohnungen, mit einem Aufzug wo man das eigene Auto hochfahren könnte, gebaut. Da wurde gesagt, dass wird jetzt die Mieten im Gebiet Reichenberger Straße erhöhen. Wobei ich mich frage, warum sollte irgendjemand in der Nachbarschaft höhere Mieten zahlen und bereit sein nur weil diese Leute die ihren Maserati da hochnehmen. Übrigens hat das auch gar nicht funktioniert. Die sollten verkauft werden, natürlich für teuer Geld, aber sie sind, wenn überhaupt nur vermietet. Sagen wir mal, wenn in einem Gebiet tatsächlich die Mieten etwas stärker anziehen sollten, dann müssen es Faktoren sein, die den Wohnwert konkret erhöhen. Zum Beispiel diese ganzen Parkanlagen am Gleisdreieck. Die haben natürlich den Wohnwert des angrenzenden Kreuzberger Gebiets (Margaretenstraße, Hermannstraße) deutlich erhöht. Da besteht die Möglichkeit die Miete bei einer Neuvermietung zu erhöhen. Der Mietspiegel betrachtet solche Sachen teilweise, aber es werden auch auch die Verkaufspreise von Wohnungen beobachtet oder ob der Anreiz besteht Wohnungen umzuwandeln, weil man jetzt zu einem guten Preis vermieten kann. Es gibt auch einzelne kleine Maßnahmen, wie eine künstlerische Aktion oder auch Initiativen gehen zum Teil so weit, dass sie dagegen waren, dass Grünanlagen wiederhergestellt werden mit dem Gedanken: „das fördert die Gentrifizierung“. Das ist natürlich eine ziemlich absurde Sache: „Wir müssen sehen dass wir so schlechte Wohnverhältnisse in den Quartieren haben, dass auch noch die Leute das bezahlen können." Aber wie gesagt auch das funktioniert ja gar nicht.
L
Wie kann das Quatiersmanagement die Nachbarschaft dauerhaft verstetigen?
S
Verstetigung soll in Gebieten, in denen bisher Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Situation der Mietverhältnisse geschaffen wurden bestehen bleiben und durch aktive Projekte verbessert werden. Wann erreichen wir einen Punkt, wo dieser Stand quasi von selbst gehalten wird? Da sind genügend Leute, die sich für Dinge einsetzen, die auch aktiv sind, also können wir das jetzt laufen lassen ohne, dass das Projekt was früher da war noch weiter unterstützt werden muss. Es gibt ja das Quartiersmanagement, welches Gebiete verstetigt. Das verstehe ich  unter Verstetigung. Ich denke in diesen Gebieten wird es nur dann auch wirklich auf Dauer funktionieren, wenn andere Organisationen sich auch beteiligen. Im Bürgerzentrum wird zumindest ein Teil der Funktion übernommen, ansonsten hat natürlich auch zur Verstetigung geführt, dass wir ja zum Teil andere Bevölkerungen noch stärker rein bekommen haben. Diese nennt man auch Pioniere und diese bleiben leider auch nicht besonders lange, aber trotzdem ist dadurch eine etwas entspanntere Situation eingetreten.


Enteignung

L
Können Sie zudem auch Bezug auf aktuelle Enteignungsdebatte nehmen? 
S
Es geht immer um eine Enteignung gegen eine Entschädigung. Da ist dann schon mal der erste große Knackpunkt, was müsste bezahlt werden. Könnte man mit dem Geld nicht, das was man erreichen will, besser erreichen. Das ist eine Form der Enteignung. Die andere Formen der Enteignung, die natürlich auch in vielen Köpfen spukt, ist dann eine totale Vergesellschaftung im Zuge eines anderen Gesellschaftssystems, wo die Dinge in gesellschaftlichen Besitz überführt werden, ganz ohne Einschränkung. Das ist natürlich dann günstig für Projekte, die diese nutzen können. Aber unter gegenwärtigen Bedingungen wäre dies gar nicht durchführbar und rechtlich nicht haltbar. Selbst wenn es eine Enteignung zugunsten gesellschaftlicher Prozesse gäbe, hätten wir noch keineswegs alle Probleme beseitigt. Die Verteilung von Wohnraum wäre auch immer noch ein großes Problem, das auch organisiert werden müsste und man weiß zumindest aus den Beispielen die es gegeben hat, dass es keineswegs so unproblematisch verlaufen ist. Ich habe auch immer ganz klar gesagt, dass ich diese Enteignungsinitiative dann nicht mehr für wichtig und auch nicht für sinnvoll halte, wenn der Mietendeckel kommt. Wir kriegen mit dieser Enteignung keineswegs die problematischsten Eigentümer. Also die Deutsche Wohnen hat natürlich, dadurch dass sie die GSW übernommen hat, in ganz Berlin Bestände. Das sind viele Grundstücke gewesen, die sie auch schnell aufgewertet und verteuert haben. In Lichtenberg haben die noch unter sechs Euro. Das heißt wir haben erst mal gar nicht furchtbar viel gewonnen, denn es sind belegte Wohnungen. Wir wollen ja niemanden aus den Wohnungen rausschmeißen. Das Einzige was wir gewonnen haben, ist, falls die Deutsche Wohnen doch sagt ja, ganz anders zuschlagen zu können. Das wäre ein gewisser Schutz. Nur wie gesagt, in anderen Wohnungen unterhalb von 3000 Wohnungen pro Gesellschaft. Der Eigentümer hat sich hingestellt und hat so den Eindruck erweckt, die Preistreiber seien nur die Gesellschaften. Das stimmt überhaupt nicht. Die Preistreiber sind mindestens genauso die Kleinen. Wir stellen ebenfalls in unseren Untersuchungen nicht fest, dass die privaten kleinen Anbieter niedrigere Mieten hätten als die anderen. Ich würde eher sagen dass der Mietendeckel etwas bringen kann, um dann mit diesem Geld in der Zwischenzeit entsprechenden billigen sozial verwalteten Wohnraum zu schaffen, den man auch möglichst langfristig absichert. Das ist nach wie vor im sozialen Wohnungsbau mit der zeitlichen Befristung ein ganz großes Problem. Nach der ersten Volkbefragungsinitiative haben wir gesagt, dass im Grunde die Konditionen so eingegrenzt und gestaltet werden sollen, dass die Förderung letztlich nur noch gemeinnützigen, also städtischen Gesellschaften oder Genossenschaften von denen man annehmen kann, dass sie auf Dauer sozial vermieten, gehen.