STATISTA

Staatskunst Pioniernutzung Repräsentation

AUF AUGENHÖHE BERLINS ZENTRUM UMBAUEN

Wie die Initiative Haus der Statistik die Stadtgesellschaft in eine offene Werkstatt einlädt, um gemeinsam einen neuen Ort für Kultur und Nachbarschaft zu schaffen 

Es war einmal… Gar nicht vor allzu langer Zeit, da behauptete Berlins Politik es könne einen Flughafen selber bauen. Es muss ungefähr zu der Zeit gewesen sein, als die Berliner 90er-Bohème die Ufer der Spree mit aufregenden Tanztempeln besiedelte. 25 Jahre später gibt es weder Flughafen noch Tanztempel. Zugegeben: das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Es ging mir nur durch den Kopf, als ich darüber nachdachte was das Haus der Statistik und den dahinter stehenden Prozess besonders macht. Ich glaube Stadtplanung und -umsetzung entwickeln sich weiter. Was früher ohne großen Tamtam von politischen oder kulturellen Eliten entschieden und einfach gemacht wurde, ist heute ein Aushandlungsprozess in breiten Foren.

Exemplarisch für die neuen Findungs- und Entscheidungsprozesse bei Bau- und Projektvorhaben ist die Entwicklung des Hauses der Statistik. Woran ich das festmache? Halb Berlin scheint beteiligt und es gab noch keinen Stress. Auf der einen Seite die starke Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure, der Alex-Nachbarschaft und der Berliner Stadtbevölkerung insgesamt, auf der anderen Seite die Zusammenarbeit von politischen und kulturellen Kräften. Letztere steht am Beginn der Erzählung: So war es die Initiative Haus der Statistik, ein loser Zusammenschluss von Vereinen aus dem Kulturbereich, die die Diskussion um das große, verfallende Areal im Herzen der Stadt überhaupt erst neu belebte (disclaimer: ich arbeite für einen dieser Vereine - also alles Subjektiv hier). 

Schnell war klar, dass eine Entwicklung des Ortes für Kunst, Kultur und soziale Zwecke nur gemeinsam mit politischen und administrativen Entscheidern möglich wird. Gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Finanzen (später abgelöst von der Senatsverwaltung Stadtentwicklung), der BIM/ Berliner Immobilienmanagement, der WBM/ Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte und dem Bezirk Mitte schlossen die Kulturakteure einen kooperativen Rahmenvertrag über die gemeinsame Entwicklung des Geländes. Das besondere war, dass die Vertragsinhalte in groß angelegten Vernetzungsratschlägen, die jedem offen standen entwickelt und beschlossen wurden. Ich war bei einem dieser Treffen und es war tierisch anstrengend - weil über hundert Leute was zu sagen hatten - aber hey, das ist halt auch Teil der Partizipation. 

Was hinter Kooperation, Partizipation, Vernetzung stehen kann

Natürlich gab es auch Vorgaben, die nicht zur Diskussion standen, wie bspw. das Eigennutzungsinteresse der beteiligten Verwaltungen. Wie genau das Rathaus der Zukunft, die neuen Wohnungsbauten und die künftige kulturelle Nutzung aussehen sollte, galt es allerdings gemeinsam rauszufinden.

Die bereits im Entwicklungsprozess angelegte Einladung zum Mitmachen, wurde im September 2018 am Standort selbst in ein Werkstattverfahren überführt. Das hieß: jeder konnte in einer eigens eingerichteten Werkstatt am Haus der Statistik an der Zukunft des Areals mitdiskutieren, planen und modellhaft bauen. Ich war zwar nie bei einer dieser Runden, wusste aber, dass es sie gibt. Allein die großen W-E-R-K-S-T-A-T-T-Lettern auf dem Nebengebäude erinnerten mich wöchentlich im Vorbeifahren an die Möglichkeit. Im Rahmen diverser Formate von Workshops, Steuerungsrunden, Planungslaboren, Cafésituationen, etc. wurde sukzessive Input für den städtebaulichen Wettbewerb geliefert. Die Planungsbüros mussten daraufhin ihre Zwischenergebnisse wieder vor Ort präsentieren und zur Diskussion stellen. Das allein zeigt wie tief das Mitmachpotenzial strukturell angelegt wurde. Wir reden eben nicht über einen Anwohnerinformationstermin oder einen netten halbtägigen Workshop zur Geschichte und Zukunft des Ortes oder ähnlicher Pseudomitmach-Verfahren, die an anderer Stelle unter “Bürgerdialog” und ähnlichen Vokabeln gerne durchgeführt werden. Allein das integrierte Werkstattverfahren zog sich über sechs Monate hin, mit unzählbaren Diskussionsrunden und Veranstaltungen, um final in drei planerischen Entwürfen für Um- und Neubau am Haus der Statistik zu münden.

Wenn alle mitmachen dürfen, sind plötzlich auch ganz andere Ergebnisse möglich

So ist wahrscheinlich zu erklären, dass Kunst, Kultur und Soziales künftig die prominenten Erdgeschosse der Gebäude nutzen können. Außerdem sollen die Hälfte der neuen Wohnungen zu 6,50€/qm vermietet werden. Von außen betrachtet entsteht am Standort ein Eldorado der aktuellen Städteplanungsdikussion. 

Das Werkstattverfahren geht währenddessen in neuer Form weiter - und ich bin endlich auch dabei. Bis zum Baubeginn muss der genaue Bebauungsplan weiterhin mit Nachbarschaft und Zivilgesellschaft abgestimmt werden. Außerdem entsteht in der Zwischenzeit eine Nutzungslücke. In dieser soll das gesamte Erdgeschoss Projekten aus dem Bereich Kunst, Kultur, Flüchtlingsintegration und Obdachlosenbetreuung für Zwischennutzung zur Verfügung gestellt werden. Hierzu gibt es einen Aufruf an alle Interessierten ihre Projektideen einzureichen. Der Aufruf ist in Tradition des Prozesses sehr niedrigschwellig gehalten. Über ein einseitiges Formular können sich Privatpersonen, lose Zusammenschlüsse und Vereine für eine Nutzung bewerben. Ein eigens eingerichteter Pionierrat berät die Initiativen und entscheidet über die Nutzungsanfragen. Auch hier sind Vertreter*innen aus verschiedenen Fachbereichen und der Nachbarschaft am Prozess und den Entscheidungen beteiligt.

Erste Nutzungswünsche zeigen: von Jugend-Projekten am Alex, über Migrantenvereine und Nachbarschaftstanzgruppen bis hin zu großen Veranstaltungen der Berliner Kreativszene haben alle Bock, das Haus der Statistik zu ihrem gemeinsamen (Zukunfts-)Ort zu machen. 

 

Quellen: 

www.hausderstatistik.org/wp-content/uploads/Modellprojekt_Brosch%C3%BCre_Band-1.pdf

www.hausderstatistik.org/wp-content/uploads/Modellprojekt_Brosch%C3%BCre_Band-2.pdf

www.hausderstatistik.org/pioniernutzungen/