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Staatskunst Pioniernutzung Repräsentation

Ein historischer Blick auf Gentrifizierung mit Hanno Hochmuth

Gibt es Gentrifizierung wirklich erst seit ein paar Jahren? Ist sie wirklich so schlimm, wie sie zum Teil in den Medien dargestellt wird? Dr. Hanno Hochmuth ordnet diese Fragen kritisch ein und gibt einen Überblick über die historische Entwicklung in den betroffenen Vierteln.

Svea Gaum im Gespräch mit Hanno Hochmuth
Dr. Hanno Hochmuth ist Historiker am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam und bearbeitet dort seit 2011 verschiedene Forschungsprojekte zur Geschichte Berlins, einer seiner Schwerpunkte ist der Themenbereich Gentrifizierung. Aktuell läuft seit dem 11. Mai 2019 mit dem Stadtmuseum Berlin eine Ausstellung zu Ost-Berlin im Ephraim-Palais im Berliner Nikolaiviertel, die er kuratiert hat. 

S    
Herr Dr. Hochmuth, Sie verstehen die aktuelle Stadtentwicklung Berlins nicht nur als Prozess der Gentrifizierung sondern sehen die Gründe für die aktuelle Entwicklung bereits viel früher verankert. Können Sie das erklären?
H
Meine Position ist die eines Beobachters. Das gilt nicht für alle, die wissenschaftlich arbeiten, zum Beispiel arbeitet jemand wie André Holm, der ja der zentrale Stichwortgeber für die hiesige Gentrifizierungs-Debatte ist und die englischsprachige Diskussion nach Deutschland überführt hat, auch aktivistisch. Das mache ich nicht, ich versuche das aus historischer Perspektive zu betrachten. So sehr die Theorie auch im Grundsatz stimmt, dass die Pioniere die Gentrifizierung starten und dann von wohlhabenderen Schichten verdrängt werden, ist das Ganze meiner Ansicht nach etwas komplizierter. Symbolische Aufwertungsprozesse waren die Grundlage für ökonomische Verwertungsprozesse, die in jüngerer Zeit stattfanden. Gerade in Kreuzberg war dieser Prozess merkwürdig verschoben. Die vielen Mieterschutz-Gesetzgebungen und Sondermodernisierungsprogramme mit entsprechenden Partizipationspflichten haben unter anderem dazu geführt, dass die Gentrifizierung in Kreuzberg erst verhältnismäßig spät einsetzte, als diese Schutzmechanismen nach 25 Jahren ausliefen. In Berlin haben wir so eine Art kreisförmigen Prozess, der im Prenzlauer Berg begann und sich dadurch erklären lässt, dass in den 90er Jahren in Prenzlauer Berg keine vergleichbaren Mieterschutz-Regeln eingehalten werden mussten. Die Sanierungen in Kreuzberg in den 70er und 80er Jahren wurden von landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften finanziert, wohingegen die Sanierungen in Prenzlauer Berg von privater Hand mit Steuerermäßigungen und -abschreibungen durchgeführt wurden. Das ist ein großer Unterschied, ob das das Land macht oder ein privater Investor mit entsprechenden Renditeerwartungen. Das ging in den 90er Jahren in Prenzlauer Berg los, zog weiter nach Friedrichshain und kam erst 2008 in Kreuzberg richtig zum Tragen, als die internationale Finanzkrise kam und einen enormen Schub für die Inwertsetzung von Immobilien in Berlin brachte. Gleichzeitig fielen die Wohnungen aus den Mietbindungen raus.
Was oft in der Gentrifizierungs-Debatte nicht bedacht wird, ist, dass zwischen den Pionieren und den „Yuppies“, die sie später mutmaßlich verdrängen, 15 Jahre liegen, in der einige Pioniere ihrerseits Karriere machen und Familie gründen und dann andere Werte und Bedürfnisse entwickelten. In der Diskussion kommt oft zu kurz, dass Gentrifizierung nicht nur ein sozialer Verdrängungsprozess ist, sondern auch ein lebensweltlich-biografischer Prozess – quasi vom Hausbesetzer zum Hausbesitzer. Und das nimmt dem Ganzen auch diese latent xenophobische Anklage, dass da Leute von Außen kommen und die Einheimischen verdrängen. In dem Moment, wo sich die Gentrifizierungs-Kritik gegen israelische Investoren richtet, kriegt das ganze ganz schnell eine Schieflage. Da geht es dann darum, wem eigentlich die Stadt gehört. So ist die Debatte um die zukünftige Stadtentwicklung am Checkpoint Charlie aus meiner Sicht eine Art Stellvertreter-Konflikt, in dem auch latent xenophobische bzw. antisemitische Dimensionen mitschwingen. Es muss also aufgepasst werden, wie tritt man eigentlich auf, was sind die Argumente?


Ist Gentrifizierung immer schlecht?


S
Kann ich das so verstehen, dass der Begriff Gentrifizierung nicht als solcher verwendet werden soll, wie er es häufig in Debatten wird? Ich muss gerade daran denken, dass wir mit einer Künstlergruppe aus Mailand ein Interview geführt haben, die politisch sehr aktiv sind (MACAO Milan). Der Künstler, den wir interviewt haben, hat beim Begriff Gentrifizierung aufgestöhnt und erzählt, dass er auf einer Podiumsdiskussion mit Bukarestern saß und die riefen: „Wir wollen Gentrifizierung! Kommt zu uns!“
H
Gentrifizierung ist ein ursprünglich wissenschaftlicher Begriff, doch sobald solche Begriffe in die öffentliche Debatte übergehen, verändern sie ihre Gestalt und ihren Kern. Aus einem soziologischen Begriff wurde der Begriff der Gentrifizierung zu einem Kampfbegriff mit mobilisierender Kraft, der auf Transparenten vor sich hergetragen wird. Doch eigentlich steckt hinter dem Begriff in der gegenwärtigen öffentlichen Debatte viel mehr. Da steckt Kapitalismuskritik hinter, die Forderung nach Partizipation und der Wunsch nach Bewegung und Demokratie – wie ist wer beteiligt, wer entscheidet und wie wird entschieden? Im Zuge der Debatte ist der Begriff also eigentlich immer größer geworden und eigentlich – darauf zielt ja auch Ihre Frage – von der Trennschärfe immer offener und diffuser. Aber das ist natürlich auch ein Vorteil. Den Begriff können dann immer mehr Leute verwenden und auf sich vereinen. Aus historisch-begleitender Perspektive ist das sehr spannend, wie sich parallel zu den stadthistorischen Entwicklungen ein solcher öffentlicher Begriff entwickelt hat und welche Dimensionen er dabei bekommen hat. Für den Historiker hat der Begriff der Gentrifizierung zwei Dimensionen: Er hat einerseits die Dimension, dass es ein Struktur- und Prozessbegriff ist, mit dem man urbane Entwicklungen beschreiben kann. Auf der anderen Seite ist es aber auch medien-, politik- und kulturhistorisch interessant, wie dieser Begriff durch die Debatte zu einem wirkmächtigen Mobilisierungsbegriff geworden ist.
Ich finde sehr interessant, was Sie über die Rumänen erzählt haben. Denn man sieht, dass der Begriff zwar bei uns weitgehend negativ besetzt ist, aber Gentrifizierung eben auch bedeutet, dass sich heruntergekommene Viertel in lebenswerte Kieze verwandeln, dass es fließend warmes Wasser gibt, nette Cafés und gut sortierte Bio-Läden. Das gilt ja alles als Vorboten der Gentrifizierung, aber gleichzeitig ist es für die Gesundheit und vom Lebensstandard her natürlich ein Riesenfortschritt. Dem muss man auch Rechnung zollen. Gentrifizierung ist also nicht nur schlecht, sie führt auch zur Wiederentdeckung von Stadtvierteln und rettet diese teilweise sogar. Die Hausbesetzer-Szene hat die Blöcke in Kreuzberg vor der Kahlschlag-Sanierung gerettet, das heißt, die Häuser, die diese Pioniere der späteren Gentrifizierung besetzt hatten, wären sonst alle abgerissen worden.


Der Einfluss von Künstler*innen auf die Entwicklung der Stadt


S 
Welchen Einfluss hatten die Künstler*innen denn auf die Bezirke über die Jahre?
H
Ich denke, das spielt von Anfang an eine wichtige Rolle. Vor allem auch in Prenzlauer Berg. Da gab es diese Prenzlauer Berg Bohème, Künstlerinnen wie Carla Sachse. Dieser Aspekt ist sehr wichtig, aber nicht in quantitativer, sondern in qualitativer Hinsicht. Quantitativ war das Künstler-Milieu verschwindend gering, aber qualitativ war es ganz wichtig. In den 80er Jahren gab es eine Öffnung des Begriffs des Künstlers und alle Leute wurden zu Künstler*innen. Die öffentliche Strahlkraft war also sehr groß, auch wenn es nicht so wahnsinnig viele waren. Da passierte sehr viel und wurde viel ausprobiert. Das stimulierte auch eine neue Öffentlichkeit. Das ist der eigentliche Beitrag, dass die Künstler Öffentlichkeit schufen, dass sie die symbolische Beschaffenheit des Raumes veränderten, und zwar in der Hinsicht, dass sie die Stadt interessanter machen. Doch die Künstler sind stets die ersten, die verdrängt werden, weil sie in der Regel kein geregeltes Einkommen haben. In West-Berlin wurden die Künstler von der öffentlichen Hand sehr unterstützt, was sicher ein Sonderfall war. Deshalb gab und gibt es diese reiche Szene ja auch.
S 
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hochmuth!