STATISTA

Staatskunst Pioniernutzung Repräsentation

WIE EIN JUGENDKUNSTHAUS RÄUME EROBERT UND UTOPIEN ENTWIRFT (UND WARUM KÜNSTLER*INNEN MANCHMAL ASOZIAL SIND)

Im Interview geht es um künstlerische Projekte im Stadtraum. Wieso es wichtig ist, auf ungenutzten Arealen gute Projekte mit jungen Menschen, Nachbarn und international Zugezogenen zu entwickeln. Warum man keine Angst vor Gentrifizierung haben sollte und lieber kluge Gedanken zur Gestaltung der Stadt anpackt. Zum Abschluss dann ein Plädoyer für mehr künstlerisch-interdisziplinäre Provisorien anstatt an Verstetigung und anderen Institutionalisierungen festzuhalten.

Anton Schünemann im Gespräch mit Barbara Meyer
Barbara Meyer ist Geschäftsführerin und künstlerische Leiterin der S27 - Kunst und Bildung. Sie hat freie Kunst und Grafik an der Schule für Gestaltung in Luzern studiert und war an der Akademie der Bildenden Künste in München. Zuletzt war sie Lehrbeauftragte am Institut für Kunst im Kontext der UdK Berlin und Leiterin des Geschäftsbereichs Kulturelle Bildung bei der landeseigenen Kulturprojekte Berlin GmbH und des Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung.


A
Was hat ein Haus für Jugend, Kunst und Kultur wie die Schlesische27 (S27) mit der Berliner Stadtentwicklung zu tun?
B
Die S27 wurde in Berlin-Kreuzberg, damals noch direkt an der Mauer, gegründet und stellte einen Hotspot dar für Berliner Migration und Migrationsgeschichte. Kreuzberg war eine wilde Gegend, in der Künstler*innen das Haus für ästhetische und kulturelle Bildung eingenommen haben. Diese haben sich vorgenommen mit Schüler*innen künstlerisch zu arbeiten und eine Art Forschung anzulegen: wie wollen wir uns positionieren, gestalten? Wie können junge Menschen teilhaben und Teil werden von Stadt und Stadtentwicklung? Eigentlich war von Anfang an ein Ziel dieses Gebiet zu öffnen und auch über den Kiez hinaus einzuladen, bis hin zur Idee internationale Kontakte zu knüpfen.
A
Was kann man unter den Anfängen des Hauses und seinem Auftrag der Kulturellen Bildung verstehen und wie hat sich dieser vielleicht verändert?
B
Damals sollten vor allem Wege in die bestehenden Kulturinstitutionen geschaffen werden. Damit war eine starke Orientierung an einem von der Hochkultur definierten Kunst- und Kulturbegriff verbunden. Das war schwierig, weil sich immer weniger Leute, Familien und junge Menschen in diesen großen Kulturtankern repräsentiert sahen. Als ich an das Haus kam wollten wir dann selbstbewusster Grundlagen für eigenes kreatives Denken und Gestalten organisieren. Wir verstehen uns seitdem eher als Forschungslabor, das Mechanismen des gesellschaftlichen Zusammenlebens unter gestalterischen Aspekten anguckt. Das heißt wer sich mit seinen eigenen Fähigkeiten wohlfühlt und sie entwickelt, wird mutig sich auch in soziale Fragen einzumischen.
A
Wie werden seitdem künstlerische mit sozialen Fragen verknüpft?
B

Das Arbeiten im öffentlichen Raum ist ein viel größeres Thema geworden: die Installation als Denkmoment in einem bestimmten Gebiet in der Stadt, die Performance und Bespielung von Plätzen, Orten, Unorten sowie das Erobern von Brachräumen. Das ist bis heute der Hauptfokus, dass an Orten der Veränderung ein Bild für diese Veränderung gesetzt wird, dem man folgen kann, das Lust und neugierig macht so einen Veränderungsprozess wahrzunehmen und sich initiativ auch zu beteiligen. In verschiedenen thematischen Feldern ist das unsere aktuelle Arbeit.
A
Wie arbeitet das Haus mit Künstler*innen zusammen? Kommen sie einfach und machen Vorschläge oder werden sie im Zusammenhang mit bestimmten Themen angefragt?
B
Es gibt sehr spontane Entscheidungen, die aus dem Alltagsleben in der S27 heraus entstehen. Die jungen Leuten haben Fragen, verfolgen ein Forschungsinteresse – sei es biografisch oder mit Blick auf die eigene Berufsperspektive. Die Leute, die auf der Flucht hier gelandet sind haben nochmal ganz andere Begegnungen mit dieser komischen, internationalen Stadt und müssen sich auch platzieren, eigene Orte finden. Aus diesem Suchen heraus entstehen die Projektthemen: Sei es etwas Forschendes wie Casa Mia, die Erinnerung an ein Haus, oder Teufelsberg Opera, wo man ganz konkret guckt wie die Materialität der Berliner Geschichte in den Trümmern noch sichtbar ist. Die Projekte geben sich den Rhythmus selber. Das ist vielleicht auch eine Schwierigkeit für einzelne Künstler*innen, die sich z.B. jedes Jahr im Dezember ein Projekt wünschen oder immer ein offenes Malatelier anbieten wollen. Das ist hier alles nicht so und deshalb sind auch eher Leute bei uns, die genauso prozesshaft, experimentell und forschend aber auch chaotisch arbeiten, wie wir selbst.

“Das Organisieren eines neuen Freiraums ist in unserer Geschichte oft dann passiert, wenn strukturell im jeweiligen Gebiet etwas geändert werden soll.”


A
Kannst Du erzählen wie es zu Projekten wie den „Jungen Pächtern“, „Junipark“ und dem „CoopCampus“ kam, die alle das Brachenthema bespielen? In welchem Zusammenhang steht das mit der Stadtentwicklung?
B
In der Herangehensweise war uns wichtig Projekte nicht aus einem künstlerischen Bedarf heraus zu entwickeln, sondern junge Leute einzuladen, die ihre eigenen dringenden Fragen sammeln und daraus ein Projekt schmieden. 2014 haben sich z.B. auch bei uns im Haus riesige Probleme aufgezeigt: Jugendliche konnten nicht mehr von zu Hause ausziehen, andere bekamen eine Wohnung geschenkt, wieder andere schliefen auf einer Matratze in der Küche. Da stellte sich die Frage, wie sich überhaupt die Wohnsituation für Jugendliche in der Stadt entwickelt? Es gab dann eine berlinweite Recherche mit Ergebnissen, die ganz klar gesagt haben: ‚wir wollen eigenen Wohnraum, wir können auch improvisiert wohnen, wir brauchen Zugang zu unkomplizierten Räumen‘. Dann suchen wir als Haus für diese wichtigen Forderungen Lösungen. Für uns ist es z.B. sinnvoll an Orte zu gehen, die Potenziale haben, die belebt und aktiviert werden können aber bisher unbemerkt oder vertraglich schwierig sind. Gerade Orte, die auch in schwierigen Sozialräumen sind, können mit einem neuen Gesicht verbunden werden.
A
Wie genau funktionierten die jungen Pächter?
G
Die Konzeption war sehr einfach: fünf bis acht Jugendliche haben ihr Vorhaben vorgetragen und konnten das dann in einem alten Ladenraum umsetzen. Das Netzwerk der Jungen Pächter hat dann vermittelt wie man überhaupt Mieter wird, wie man guckt, dass die Bude nicht abfackelt oder wie man sich als Gruppe überhaupt organisiert. Außerdem konnte das Netzwerk dann auch sensibel in den kleinen Kiezräumen, in denen sie steckten Stadtentwicklungsprozesse selber anschauen und mit initiieren. Die Aktion hatte Kampagnen-Charakter. Ein wichtiges Merkmal unserer Projekte ist, dass wir mit dem Titel eines Projekts immer auch eine Assoziation schaffen. Die Jungen Pächter kommen mit ihrem Titel eher altmodisch daher, erinnern an Gastronomie und Landwirtschaft, wo Räume übernommen und gestaltet werden. Im Kontakt mit Politik ist das eine sehr wichtige Strategie. Wenn ich mit einem Ausschuss über ein solches Projekt rede, haben die sofort ein Bild im Kopf.
A
Warum war es beim CoopCampus wichtig nach Neukölln zu gehen und dort ein Gartenprojekt zu machen mit Geflüchteten und der Nachbarschaft?
B
Das Organisieren eines neuen Freiraums ist in unserer Geschichte oft dann passiert, wenn strukturell im jeweiligen Gebiet etwas geändert werden soll. Da wo wir mit dem CoopCampus hingegangen sind wurden beispielsweise Flüchtlingsunterkünfte geplant. Die Nachbarschaft, die eh im Umbruch ist und in einem Gentrifizierungsprozess drinsteckt hat sich nicht unbedingt darüber gefreut, dass da jetzt nochmal eine ganz andere Gruppe von Menschen Platz bekommen soll. Die Orte die wir in Brachräumen organisieren haben Pioniergewächscharakter. Z.B. beim Jerusalem-Friedhof, der im hinteren Teil brach liegt, wurde in Zusammenarbeit mit dem Qartiersmanagement, dem Friedhofsverband und den verschiedenen Akteuren drum herum ein Ort für diesen Wandel vorbereitet. Mit dem CoopCampus wurde also eine Stadtentwicklungsstragie verfolgt, bei der ein Transferort entsteht, der es den Nachbar*innen ermöglicht neue Erfahrungen mit den anstehenden Veränderungen zu machen.

“Wir sollten keine Angst davor haben Gebiete zu eröffnen, besser bewohn- und belebbar zu machen und zu nutzen.”


A
Man kann argumentieren, dass die durch ein Projekt wie den CoopCampus erhöhte Attraktivität eines Ortes Gentrifizierungsprozesse verstärkt. Spielt das bei der Projektkonzeption und -durchführung eine Rolle?
B
Wir sollten keine Angst davor haben Gebiete zu eröffnen, besser bewohn- und belebbar zu machen und zu nutzen. Wir brauchen neue Formen von Verdichtung in der Stadt und sollten uns nicht davor scheuen zu bauen. Es fragt sich nur ‚wie‘? Einzugreifen in so ein Gebiet hat eine ganz bestimmte Handschrift und ist auch eine Art Wegweiser wie das laufe könnte: mit einer solchen Intervention in den öffentlichen Raum zu politisieren. Diese Ermutigung es als eigenes Land, eigenes Gebiet zu nehmen, mitzuwirken bei den Gestaltungsmöglichkeiten, bedeutet eben eine politische Bewusstwerdung. Das ist glaube ich viel nötiger, als Gebiete vor der Gentrifizierung zu schützen! Weil Letzteres eigentlich wieder autoritäres Gehabe ist.
A
Das ist ein ungewöhnliches Plädoyer, wenn man auf die aktuelle politische Diskussion schaut.
B
Wenn wir Stadt als demokratischen Raum verstehen, können wir uns entscheiden das größte Holzhochhaus der Welt in die Mitte zu bauen. Wenn wir das gut finden, ist das ein gutes Experiment – die Alternative kann nicht sein nichts zu tun. 100% Tempelhof ist aus meiner Sicht eine absolute Pleite. Das Tempelhofer Feld ist ein Riesenareal, bei dem es in einem anderen Entwicklungsprozess möglich gewesen wäre, eine Form von neuem Stadtleben zu experimentieren. Es war unklug von Seiten der Stadt die gängigsten Mehrfamilienhäuser schon vorab zu inserieren, denn die kann sich kein normaler Mensch mit Berliner Gehalt leisten. So kam es zum entsprechenden Ergebnis in Form der Abstimmung. Das war auch eine ästhetische Reaktion: 100% Tempelhof hat im Prinzip der Stadt gesagt: ‚wir wollen lieber gar nichts als sowas‘. Wir sollten Räume nutzen und neu gestalten und uns nicht vor der Gentrifizierung verpissen. Ansonsten überlassen wir alles einfach dem Großkapital. Wir sollten mit guten Ideen in diese Gebiete gehen und das verbinden mit dem Höchstmaß von politischer Bildung und Beteiligungsprozessen – damit jeder mitmachen kann.
A
Es gibt einen starken Wunsch von Kunst- und Kulturschaffenden, die früher selbstverständlich mit temporären Arbeitsorten gelebt haben, diese jetzt mehr und mehr zu verstetigen, um sie der Gentrifizierungsspirale zu entziehen. Die meisten S27-Projekte werden eher temporär gedacht. Wie schaust Du auf die Debatte?
B
Das Verständnis unserer Arbeit ist schon eine Art Idee oder Katalysator zu sein – ein Bild aufzumachen, eine Perspektive wie etwas sein könnte. Es wäre nicht sinnvoll alle aufgeschlagenen Plätze zu institutionalisieren. Es ist gerade gut mit mehr Provisorien produktiver und vernetzter umzugehen. Ich glaube es ist keine gute Idee Fragen immer mit Institutionen und Haushaltstiteln abzusegnen.

“Um eine kreative Lösung, ein Vorbild, eine Utopie formulieren zu können sollten wir uns aber nicht nur auf die Möglichkeiten der Künste beschränken, sondern neue Ansätze mit neuen Verschränkungen suchen.”


A
Ist das auch eine Kritik an der bestehenden Kunst- und Atelierförderung in Berlin?
B
Wenn wir mal vom inneren Herzen der Künste darauf eingehen, dass sie neu nachdenken lassen, Innovationen einleiten, dass die experimentell sind, Anschub zum Umdenken sind, dann sind sie an den gesellschaftlichen Fragen die wir haben weit mehr beteiligt, innovativ und experimentell als die Künstler*innen. Erst in der Zusammenarbeit aus ganz verschiedenen Professionen und Forschungsebenen entsteht Innovation und die gilt es zu fördern. Das kann heißen, dass sich der Laden eines Schusters mit einem Galerieladen, einem Ingenieur und einem Theatermacher auf einer Ebene der Förderwürdigkeit befinden.
A
Du meinst die Künstler*innen verweigern sich einer viel notwendigeren Interdisziplinarität?
B
Schauen wir nochmal auf die kulturpolitische Stimmung im Zusammenhang mit Veränderung von Stadtraum, Gentrifizierung, Verdrängung: Es gibt eine natürlich gewachsene Stimme und Lobby von ‚Berufsleuten‘, freie Szene, bildende Künstler*innen, Künstler*innen, die ganz eindeutig auf günstige Arbeits- und Projekträume angewiesen sind und damit auch relevante Beiträge entwickeln. Um eine kreative Lösung, ein Vorbild, eine Utopie formulieren zu können sollten wir uns aber nicht nur auf die Möglichkeiten der Künste beschränken, sondern neue Ansätze mit neuen Verschränkungen suchen. Aus meiner Sicht sollte man die Atelierhäuser öffnen damit man sich aus ganz verschiedenen Professionen da bewerben kann. Es braucht subventionierte Arbeitsräume für ganz breite Berufsgruppen und da finde ich viele Künstler*innen aus dem Bereich der Bildenden Künste sowas von ignorant, ja asozial: Es wird nur an die eigenen Interessen gedacht und niemand kommt von selbst auf die Idee, dass es nicht reicht für die Entwicklung der Kunst und der Form wie wir ästhetisch Gesellschaft und Raum gestalten nur auf die eigenen Sphäre zu schauen. Ich bin selber Künstlerin und schäme mich dafür. Es tut richtig weh durch verschiedene Atelierhäuser zu schauen, in denen über Monate hinweg nicht weitergearbeitet wird oder Raum leer steht. Gleichzeitig suchen Familien mit vier Kindern einfach nur eine Übernachtungsmöglichkeit. Ich finde, dass muss alles neu ins Verhältnis gesetzt werden.
A
Das klingt als sollten Künstler*innen ähnlich zur S27 lernen, ihre Vorhaben im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu sehen, um dann in eine Art Wettbewerb zu treten. Vielleicht kannst Du erklären wie das Haus fördertechnisch funktioniert und was für Leute hier arbeiten?
B
Weil die Leute die hier arbeiten mit sehr verschiedenen Voraussetzungen, Plänen und Interessen kommen, stecken in den Projekten auf jeden Fall Förderaspekte in Richtung Berufswegplanung, -vorbereitung und -orientierung drin. Dazu kommen Auseinandersetzungen mit der Geschichte vom Hier und der Herkunft der Menschen sowie der gemeinsamen internationalen und globalisierten Zukunft. Die Fragen von Ressourcenknappheit und dem Kaputtgehen von Lebensgrundlagen, also ökologische Fragen sind auch vertreten. Die Förderung unserer Projekte ist entsprechend unterschiedlich: Stiftungen fördern, wir schreiben Anträge, bewerben uns für europäische Fördermittel, auch Gelder von privaten Unterstützer*innen sind mit angefragt, gerade wenn es darum geht etwas auszuprobieren, was in einem Förderprogramm noch gar nicht vorgesehen ist. Die Übergänge zum Wirtschaften und dem betrieblichen Arbeiten sind interessant und auch Strukturen des politisch-gesellschaftlichen Lebens wie Vereinswesen, einen Verein gründen, sind Thema für uns.